Pionier der Gastrokritik: Jean-Anthelme Brillat-Savarin: Der Meister des guten Geschmacks

Er war einer der ersten Gastrokritiker der Welt, wäre fast in der Guillotine gelandet und verehrte Käse: Jean-Anthelme Brillat-Savarin

Jan 17, 2025 - 15:46
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Pionier der Gastrokritik: Jean-Anthelme Brillat-Savarin: Der Meister des guten Geschmacks

Er war einer der ersten Gastrokritiker der Welt, wäre fast in der Guillotine gelandet und verehrte Käse: Jean-Anthelme Brillat-Savarin

Er war ein begnadeter Schreiber. Und ein Feinschmecker. Diese Mischung machte ihn berühmt. Und noch heute verehren Liebhaber der Kochkunst diesen Mann des späten 18. Jahrhunderts. Jean-Anthelme Brillat-Savarin gilt als einer der ersten Gastrokritiker der Welt. Ein Influencer des Genusses zu einer Zeit, als Essen nicht viel mehr war als Nahrungsaufnahme. 

Dabei deutete zunächst nichts auf die Karriere am Esstisch hin. Jean-Anthelme Brillat-Savarin wurde als ältestes von acht Kindern im Städtchen Belley in der Nähe von Lyon geboren. Vor dem dortigen Tourismusbüro steht der Feinschmecker heute in Stein gehauen, zu seinen Füßen dampft ein Topf mit Flusskrebsen. Anfangs fühlte sich der junge Mann vor allem der Familientradition verpflichtet. Er studierte in Dijon Jura, hörte nebenbei Vorlesungen in Medizin, Physik und Chemie.

Es mag sein, dass er damals schon gern und gut gegessen hat. Auf jeden Fall ist überliefert, dass Brillat-Savarin gern einen auffälligen blauen Frack und prächtige Hosen trug. Er kehrte nach dem Studium in seine Heimatstadt zurück und arbeitete als Zivilrichter. Seine Hobbys deuten da schon auf einen Genussmenschen hin: Jagd, Musik und klassische Literatur. 

Jean-Anthelme Brillat-Savarin war ein begnadeter Schreiber. Besonders einer seiner Aphorismen hat die Zeit überdauert: "Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist."
Jean-Anthelme Brillat-Savarin war ein begnadeter Schreiber. Besonders einer seiner Aphorismen hat die Zeit überdauert: "Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist."
© Public Domain

Die Zeit war wohl reif für einen Genießer wie ihn. Lange Zeit machten die Menschen nicht viel Aufheben um das tägliche Essen. Im antiken Rom wurden Reisende in Tavernen verköstigt. Etwa 1000 n. Chr. begannen chinesische Garküchenbesitzer die Namen ihrer Gerichte an Tafeln zu schreiben. Die Geburtsstunde des Restaurants, wie wir es heute kennen – des Namens und der Einrichtung –, liegt allerdings in der Französischen Revolution. Bis dahin waren die kulinarischen Feinheiten in Frankreich der aristokratischen Elite vorbehalten. 

Die Köche des Königs eröffneten die ersten Restaurants

Als der französische Hof sich 1789 auflöste, eröffneten arbeitslos gewordene Köche und Diener in Paris Lokale, einige reisten durch Europa, um das Gleiche zu tun. Der ehemalige Koch Marie Antoinettes startete nach deren Hinrichtung im Jahr 1794 das erste Restaurant Hamburgs, das "Girard". In diesen Gaststätten waren nun die einfachen Kunden Könige. 

Jean-Anthelme Brillat-Savarin selbst hielt einmal die üppige Auswahl in einem der neuen französischen Restaurants fest: "Zwölf Suppen, 24 Hors d'oeuvres, 15 bis 20 Speisen von Rindfleisch, 20 von Schaffleisch, sechs bis 20 von Kalbfleisch, 30 von Geflügel und Wildbret, 24 von Fisch, 15 Braten, zwölf Pasteten, 50 Zwischenessen und 50 Desserts". 

Doch bevor Brillat-Savarin sich den kulinarischen Feinheiten seiner Heimat richtig widmen konnte, wurde er von den Wirren der Geschichte über den Atlantik geworfen.

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Als Bürger in Paris die Bastille stürmten, war es mit dem beschaulichen Leben des Richters in der Provinz zunächst vorbei. Die Einwohner von Belley schickten Brillat-Savarin als Vertreter des Dritten Standes nach Paris. Wenige Jahre später wählten sie ihn sogar zum Bürgermeister. Als allerdings die Republik errichtet wurde, wäre der Bürgermeister beinahe vor das Revolutionstribunal gestellt worden und auf die Guillotine geraten. 

Ein Vierteljahrhundert arbeitete er an seinem Buch

Jean-Anthelme Brillat-Savarin, noch keine 40 Jahre alt, entkam durch Glück und gute Beziehungen, emigrierte zunächst in die Schweiz, nach London und dann in die USA. Vielleicht hat er in diesen schweren Jahren, in denen er sich als Musiker und Sprachlehrer durchschlug, schon Notizen gemacht, über alles, was er über Essen und Genuss wusste. Wie gesagt: Er war ein begnadeter Schreiber, ein Meister der eleganten Aphorismen. Viele davon haben später sein berühmtes, sein einziges Buch gefüllt. 

Schon zu Lebzeiten war der Gastrokritiker bekannt. Vergöttert wird er bis heute von vielen Franzosen für sein Buch "Physiologie des Geschmacks" 
Schon zu Lebzeiten war der Gastrokritiker bekannt. Vergöttert wird er bis heute von vielen Franzosen für sein Buch "Physiologie des Geschmacks"
© Gemini

Bis heute bekannt geblieben ist vor allem sein Ausspruch: "Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist." Aber auch andere überlieferte Zitate zeugen von der Brillat-Savarins Lust am Schöpfen und am Genießen. "Die Entdeckung eines neuen Gerichts macht die Menschheit glücklicher als die Entdeckung eines neuen Sterns", frohlockte er. Und stellte nonchalant fest: "Beim Bordeaux bedenkt, beim Burgunder bespricht, beim Champagner begeht man Torheiten."

Im Jahr 1796, als ihm in Frankreich keine Gefahr mehr drohte, kehrte Jean-Anthelme Brillat-Savarin in seine Heimat zurück. Ein gutes Vierteljahrhundert arbeitete er dann an dem Buch, das sein Vermächtnis für die Kulinarik werden sollte. In "Physiologie du Goût" – deutsch: "Physiologie des Geschmacks" – geht es nicht nur um die Zubereitung von Speisen, sondern ganz grundsätzlich um Tafel- und Lebensfreuden. Er schrieb: "Ein echter Feinschmecker, der ein Rebhuhn verspeist hat, kann sagen, auf welchem Bein es zu schlafen pflegte." Und: "Ein Dessert ohne Käse ist wie eine einäugige Schönheit."

Die Kochkunst wird zur Wissenschaft

Mit seinem Buch begründete Brillat-Savarin eine neue Form des Schreibens über das Essen. Aus seinem Interesse für gutes Essen machte er eine Leidenschaft und erfand den Diskurs über die Kulinarik. Er wollte mit seinem Werk die Kochkunst in den Rang einer Wissenschaft heben. Das hatte vor ihm noch niemand gedacht und gewagt. Über seine Schlussfolgerungen lässt sich dennoch streiten: Brillat-Savarin empfiehlt, zwei Flaschen Wein am Tag garantierten ein langes Leben. Die gleiche Menge an Kaffee führe hingegen unweigerlich zum Schwachsinn. 

Er ist cremig und fein-würzig, der Käse, der nach Brillat-Savarin benannt wurde
Er ist cremig und fein-würzig, der Käse, der nach Brillat-Savarin benannt wurde
© Martin G. Dr. Baumgärtner / Shotshop

Die "Physiologie du Goût" erschien im Jahr 1826, nur wenige Monate vor dem Tod des Verfassers. Das Werk wurde sofort ein großer Erfolg und wird bis heute immer wieder neu aufgelegt. 

Der Lieblingskäse Brillat-Savarins war der Epoisses, ein eher deftiger, wenn nicht sogar stinkender Käse. Den Namen "Brillat-Savarin" trägt heute allerdings ein eher milder, cremiger Kuhmilchkäse. Dem Gastrokritiker hätte er vielleicht trotzdem gefallen. Kenner empfehlen den Käse "Brillat-Savarin" für jede Käseplatte am Abend, zum Sonntagsfrühstück aufs Brötchen oder zum Einschmelzen mit Weißwein. Dazu scharf gegrillter grüner Spargel und eine gute Portion Pfeffer – fertig ist das Essen zu Ehren des ersten Genuss-Meisters. 

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