Paläontologie: Fossilien im Krieg zerstört: Neue Raubsaurierart auf 80 Jahre alten Fotos entdeckt
1914 fanden deutsche Paläontologen in Ägypten Fossilien eines Sauriers. Mehr als 100 Jahre später stößt ein Student auf Fotos der im Krieg zerstörten Knochen – und traut seinen Augen kaum
1914 fanden deutsche Paläontologen in Ägypten Fossilien eines Sauriers. Mehr als 100 Jahre später stößt ein Student auf Fotos der im Krieg zerstörten Knochen – und traut seinen Augen kaum
Beinahe hätten wir nie von der Existenz Tameryraptor markgrafis erfahren, jenes Raubsauriers mit dem markanten Horn auf der Nase, der vor rund 95 Millionen Jahren durch den kreidezeitlichen Norden Afrikas zog. Schließlich wurden seine Knochen erst fälschlicherweise einer anderen Saurierart zugeordnet – und dann unwiderruflich zerstört. Doch nun haben Münchner Forschende bislang unbekannte Fotos der Fossilien ausgewertet. Und darin überraschenderweise die neue Saurierart entdeckt.
Wir schreiben das Jahr 1914, als eine Grabungsexpedition des Münchner Paläontologen Ernst Stromer von Reichenbach in der ägyptischen Oase Bahariya auf das Skelett eines großen Dinosauriers stößt. Das Fossil wird zusammen mit anderen Funden aus Ägypten in die Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie nach München gebracht, wo Stromer es untersucht – und es der Gattung des Carcharodontosaurus zuordnet: den Haizahn-Echsen, die mit ihren zehn Metern Körperlänge zu den größten an Land lebenden Fleischfressern zählten, die je über die Erde stampften.
Als München während des Zweiten Weltkriegs im Juli 1944 von den Alliierten aus der Luft angegriffen wird, trifft eine Bombe auch die Alte Akademie in der Innenstadt, in der damals die Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie untergebracht ist. Das Gebäude brennt vollständig aus, die meisten Sammlungsstücke fallen den Flammen zum Opfer – auch die ägyptischen Saurierfossilien. Einzig Stromers Notizen und einige Fotos und Illustrationen der Originalknochen überleben. Doch jahrzehntelang nimmt kaum jemand Notiz davon.
Bis ein Student der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), der Paläontologe Maximilian Kellermann, 80 Jahre später die Unterlagen noch einmal genauer unter die Lupe nimmt – und auf bislang unbekannte Fotos der Saurierfossilien stößt. Diese zeigen Teile des Schädels des Saurierskeletts, der Wirbelsäule und der Hinterbeine. Und die sehen so gar nicht nach einem Saurier der Gattung Carcharodontosaurus aus.
Überraschender Fund
"Was wir auf den historischen Bildern sahen, hat uns alle überrascht. Das dort abgebildete ägyptische Raubsaurierskelett unterscheidet sich deutlich von neueren Carcharodontosaurus-Funden aus Marokko", sagt Maximilian Kellermann in einer Mitteilung der Universität. "Stromers ursprüngliche Zuordnung war somit inkorrekt."
Gemeinsam mit dem Dinosaurierspezialisten Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie und der Saurierforscherin Elena Cuesta von der LMU wertet er das Bildmaterial erneut aus. Und kommt zu dem Schluss: Bei den Knochen handelt es sich um eine bislang unbekannte Raubsaurierart. In einem Artikel in der Fachzeitschrift "Plos One" geben sie ihr den Namen Tameryraptor markgrafi: benannt nach dem Fossiliensammler Richard Markgraf, der die Knochen einst unter Stromer ausgegraben hatte, und angelehnt an den altägyptischen Namen "Tamery" für Ägypten, das gelobte Land.
Der Raubsaurier hatte symmetrische Zähne, ein Horn auf der Nase, maß etwa zehn Meter. Die Forschenden vermuten einerseits eine enge Verwandtschaft mit den aus Nordafrika und Südamerika bekannten Carcharodontosauriern, andererseits aber auch mit den Metriacanthosauriern, einer Gruppe von Raubsauriern aus Asien.
Die neu entdeckte Art lässt nicht nur die Gruppe der Raubsaurier wachsen, sie sorgt auch für ein neues Verständnis der Fauna Nordafrikas während der Kreidezeit. "Vermutlich war die Dinosaurierfauna Nordafrikas deutlich vielfältiger, als wir das bislang angenommen haben. Diese Arbeit zeigt, dass es sich für Paläontologen auch lohnen kann, nicht nur in der Erde, sondern auch in alten Archiven zu graben", sagt Oliver Rauhut. Um herauszufinden, wer die Bahariya-Oase während der Kreidezeit tatsächlich bewohnt hat, müssten allerdings weitere Fossilien von der Fundstelle geborgen und untersucht werden.
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