Psychologie des Mattering: Wie wir für andere wertvoll werden – und davon selbst profitieren

Menschen profitieren von dem Gefühl, gesehen zu werden, für andere wichtig und wertvoll zu sein. Psychologen verstehen, wie "Mattering" mit Gesundheit und Resilienz verbunden ist 

Jan 15, 2025 - 18:02
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Psychologie des Mattering: Wie wir für andere wertvoll werden – und davon selbst profitieren

Menschen profitieren von dem Gefühl, gesehen zu werden, für andere wichtig und wertvoll zu sein. Psychologen verstehen, wie "Mattering" mit Gesundheit und Resilienz verbunden ist 

Das erste Mal begegnete ihm sein späteres Forschungsfeld in den Augen seiner Großmutter: Gebannt hing diese an seinen Lippen und lauschte, wie er als Kind von seinen Abenteuern berichtete. Er spürte in diesem Moment an ihrer Aufmerksamkeit und den leuchtenden Augen: Ich bin wertvoll. Meine Worte zählen. Ich bin gewollt. Die Erwachsenen nehmen mich ernst. 

Der junge Gordon Flatt war in diesem Moment glücklich. Heute ist Gordon Flatt Psychologieprofessor an der York University in Toronto und einer der renommiertesten "Mattering"-Forscher. Der junge Ansatz "Mattering" erforscht, inwiefern das Gefühl, für andere Menschen wertvoll zu sein und für sie zu zählen ("to matter"), mit emotionaler und genereller Gesundheit korreliert. Studien widmen sich bereits den positiven Effekten auf Wohlbefinden, Hoffnungskompetenz, Resilienz. Auch die Korrelation zu einer antidepressiven Wirkung und eine abmildernde Wirkung bei Einsamkeitsgefühlen werden geprüft. 

Die Ursprünge der Mattering-Forschung gehen auf den Soziologen Morris Rosenberg zurück. Dieser beschrieb bereits in den 1980er-Jahren das Gefühl, für andere wertvoll zu sein, als ein menschliches Grundbedürfnis. Morris Rosenberg entwickelte daraus das psychologische Konzept und eine "Mattering-Skala". Diese listet vier grundsätzliche Fragen, anhand derer jeder und jede den Mattering-Gehalt in seinem Leben testen kann. 

- Wie wichtig bin ich für andere? 

- Wie intensiv richten andere ihre Aufmerksamkeit auf mich? 

- Wie stark würde ich vermisst werden, wenn ich ginge? 

- In welchem Ausmaß hängen andere Menschen von mir und meinem Tun ab?  

Um zu verstehen, worum es dem noch jungen Forschungsfeld in den USA geht, ist die Negativfolie hilfreich, also der Anti-Mattering-Faktor. Am anderen Ende der Mattering-Skala stehen das Gefühl, unwichtig zu sein, übersehen zu werden und der Eindruck, dass es für die Gruppe egal ist, ob man in einer sozialen Situation anwesend ist oder nicht. Zweifelsohne für jeden Menschen ein schmerzhaftes Gefühl des sozialen Ausschlusses und des Übersehenwerdens. 

Das Gefühl des Wertvollseins scheint vor allem für Junge und Ältere essenziell hilfreich zu sein. Für das gute Gedeihen und entwicklungspsychologische Aufblühen ist nach Gordon Flatt das Empfinden von Mattering ein zentraler Baustein. Flatt arbeitete heraus, das Heranwachsende, die in ihren Herkunftsfamilien das Gefühl erleben, nicht gewollt, übersehen und geringgeschätzt zu werden, oftmals als Folge zu perfektionistischem Verhalten tendieren. Die Hypothese: Durch Fehlerlosigkeit suchen sie die ersehnte, jedoch vermisste Wertschätzung doch noch zu erfahren. Auch stellte er bei Betroffenen von Vernachlässigung öfter einen unsicheren Bindungsstil fest: Die Sehnsucht nach Nähe und deren gleichzeitige Abwehr als "potenziell gefährlich" scheinen aus dem primären Gefühl des Unbedeutendseins für andere zu resultieren. 

Ein Mensch, der das Gefühl gab, wertvoll zu sein 

Die berühmte Resilienzforscherin Emmy Werner verfolgte über Jahrzehnte die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die in ihren Familien überaus schwierige Startbedingungen hatten, etwa mit drogenabhängigen Eltern aufwuchsen. Werner interessierten vor allem jene Menschen, denen es trotz widrigster Umstände gelang, ein erfolgreiches Erwachsenenleben aufzubauen, einem Beruf nachzugehen und eine eigene Familie zu gründen. Die also resilient waren. Zentral war nach Werner dafür jeweils ein Mensch, ein Lehrer, Freund oder Nachbar, der den Heranwachsenden das Gefühl gab, wichtig zu sein, ja einen Unterschied zu machen, und der etwa ein bestimmtes Talent im Leben des Jugendlichen besonders förderte. 

Wenn ein Riss durchs Leben geht

Flatt folgert mit Bezug auf Emmy Werner, dass Resilienzgeschichten und ihr oftmals beeindruckender Wandel zum Konstruktiven häufig mit entsprechenden Erfahrungen durch einen Mentor oder eine Mentorin zu tun haben, die das Mattering-Bedürfnis im Leben des Heranwachsenden erfüllen. Wichtigkeit bedeutet nach Flatt nicht einfach nur eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sondern auch die Tatsache, bei Abwesenheit vermisst zu werden und vor allem mit seiner ganz besonderen Eigenart und Perspektive, also mit seiner Individualität und den Talenten für andere zu zählen. 

Mattering, das Gefühl von Wichtigkeit für andere, lässt sich nach Flatt in verschiedenen Kontexten, Rollen oder Nischen erleben und sogar selber beeinflussen und steigern. "Mattering ist formbar", sagt Flatt. Zwar könnten wir nicht ändern, wie wir erzogen wurden oder ob wir Diskriminierung, Ausgrenzung und unfaire Behandlung erleben mussten, was unser Gefühl der Wichtigkeit negativ färben kann. Dennoch gebe es Schritte, die die Wahrnehmung unseres Wertes verändern können.

Den Mattering-Faktor im eigenen Leben hochzudrehen gelingt vor allem in folgenden Bereichen: Auf der Arbeit bieten sich mannigfache Gelegenheiten und Nischen, um sich in einer aktiven und engagierten Rolle als wertvoll und wichtig für andere und die Gesellschaft zu erleben. In Liebesbeziehungen und Freundschaften sowie beim Erziehen von Kindern kommen viele Situationen vor, in denen andere Menschen von Hilfe und Unterstützung profitieren. Wenn Menschen etwas für andere tun, spiegeln diese ihnen nämlich sehr oft soziale Anerkennung und Wertschätzung wider, das Gefühl, einen Unterschied zu machen und für sie zu zählen. 

Mattering hat phänomenologisch eine Besonderheit: Es ist keine Einbahnstraße. Das Konzept wirkt psychologisch in zwei Richtungen: Wer etwas für andere tut, wird oft mit Wertschätzung belohnt. Trägt er mit seiner Aktivität zum Wohlergehen anderer bei, so bewirkt das zugleich aber auch, dass der Empfänger sich gesehen und wiederum wertgeschätzt und wichtig fühlt. Im Idealfall setzt eine Aufwärtsdynamik auf beiden Seiten ein, bei der Selbstwertgefühl und Selbstgefühl aller steigen. 

Wie der Mattering-Faktor gesteigert werden kann 

Wer die Wertschätzung im eigenen Dasein steigern und für ein Gefühl von Mattering bei anderen sorgen möchte, der kann auf folgende Bereiche intensiver achten: Als soziales Verbundenheitsgefühl erfordert Mattering eine intersubjektive Haltung. Wer sich Wertschätzung von anderen wünscht, sollte seine Kommunikation verbessern. Menschen wertschätzen vor allem Personen, die gut zuhören und Mitmenschen Aufmerksamkeit schenken. 

Wertschätzung lebt aber auch davon, so präzise wie möglich ausgedrückt zu werden. Die Kollegin oder der Kollege haben ein Talent, das die gemeinsame Arbeit voranbringt? Die Nachbarin übernimmt wertvolle Dienste? Jemand hebt die Stimmung im Team durch seine Frohnatur? In all diesen Fällen sollte man diese kleinen Wohltaten und Talente auch formulieren. Je präziser die Botschaft ausfällt, was genau an einer Eigenart der Umwelt zugute kommt, umso nachhaltiger wirkt die Wertschätzung, und der Mensch fühlt sich wahrhaft gesehen.  

Ein sehr effektiver Weg, die Bedeutsamkeit im eigenen Leben zu steigern, liegt darin zu prüfen, wie man in der Welt oder im Leben der Mitmenschen einen Unterschied bewirken kann. Es geht darum, durch eigene Gestalterkraft das Mattering selbst in die Hand zu nehmen und mit seinem Einsatz anderen zu dienen. Welche Talente und Fähigkeiten hätten Sie dazu parat? 

Wer sich für Mensch, Tier oder Umwelt einsetzt, etwas Gutes tut und hilft, wo das möglich ist, hat bereits einen sicheren Weg, das Gefühl zu bestärken, der Wertschätzung anderer wert zu sein und auf dieser Welt für sie von großer Bedeutung zu sein. Dieser Mensch zählt, er ist sichtbar in seiner Besonderheit. 

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