Neurowissenschaft: Warum Sport das Gehirn jung hält und sogar vor Alzheimer schützen kann

Wer regelmäßig seine Muskeln sportlich beansprucht, profitiert mit Gehirngesundheit. Sogar eine gefürchtete Alzheimerdemenz lässt sich für Jahre verzögern 

Jan 23, 2025 - 14:54
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Neurowissenschaft: Warum Sport das Gehirn jung hält und sogar vor Alzheimer schützen kann

Wer regelmäßig seine Muskeln sportlich beansprucht, profitiert mit Gehirngesundheit. Sogar eine gefürchtete Alzheimerdemenz lässt sich für Jahre verzögern 

Macht es einen Unterschied für die Gehirnleistung, ob wir die Abende auf dem Sofa verbringen oder uns bei einem sportlichen Hobby körperlich so sehr fordern, dass wir leicht ins Schwitzen geraten? Lange zweifelten Neuroforschende an, dass Muskeln einen Einfluss auf das Gehirn haben. Ja, dass die Kraftpakete das Denkorgan sogar gesund und leistungsfähig halten können und gewisse altersassoziierte Leiden zeitlich aufschieben. Inzwischen aber gilt unter Experten und Expertinnen: Der Lebensstil hat offenbar einen Einfluss, wie leistungsfähig das alternde Gehirn bleibt und wie es um seine kognitiven Fähigkeiten bestellt ist. 

Wissenschaftliche Studien zeigen deutlich, dass sich Bewegung und muskuläre Aktivität auf die kognitiven Fähigkeiten auswirken. Einerseits liegt dies, so die gültige Hypothese, an einer besseren Durchblutung von Gehirnarealen, die durch Muskelarbeit eintritt. Bereits bei einer moderaten Belastung von nur etwa 100 Watt steigt die Blutversorgung des Hirns etwa um 30 Prozent an. Zum anderen setzen aktive Muskeln einen Wachstumsfaktor frei: Der BDNF, zu deutsch Brain Derived Neurotrophic Factor. Von diesem wird angenommen, dass er Nervenzellen positiv stimuliert und so dafür sorgt, dass sich das Gehirn neu verdrahtet und verschaltet, Neuroplastizität entsteht. Diese gilt unter Neuroforschenden als wahres Zaubermittel.

Muskelarbeit sorgt für besseres Gedächtnis

Adulte Neurogenese nennen Fachleute diesen nützlichen Prozess, also Neuverschaltung und Neubildung von Hirnzellen. Es wurde einige Zeit angezweifelt, dass dies ab einem gewissen Alter überhaupt noch möglich sei, sich das alternde erwachsene Gehirn also nicht durch Neuorganisation vor altersbedingtem Abbau schützen könne. Erstmals gelang der Gegenbeweis im Tierversuch. Dabei wurden zwei Mausgruppen im Laborversuch von Scott Small verglichen, wobei der einen Gruppe ein Trainingsgerät zur Verfügung stand, ein Laufrad, während die andere Gruppe der Nager nicht trainieren konnte. Nach dem Experiment hatten die Mäuse aus der Sportgruppe doppelt so viele neue Nervenzellen im Hippocampus (genauer im Gyrus dentatus) wie die Kontrollgruppe erworben, die adulte Neurogenese durch Muskelarbeit war also deutlich zu sehen. Inzwischen wird adulte Neurogenese von fast allen Forschenden nicht mehr angezweifelt. 

Vor allem die Gedächtnisleistung profitiert Experten zufolge von den Effekten regelmäßiger Bewegung. Nach dem Neurobiologen Martin Korte werden vermehrt neue Nervenzellen gebildet, wenn sich das Gehirn in einem Körper befindet, in dem "regelmäßig große Muskelgruppen trainiert werden". Anders gewendet: Sport sorgt für ein frischeres und jüngeres Gehirn. Der Träger dieses Denkorgans wird sich besser erinnern können. 

Dabei muss niemand übertreiben. Es reicht bereits moderate Bewegung, um bei Senioren positive und gesunderhaltende Effekte zu stimulieren. Bereits drei Trainingseinheiten bei mäßiger Belastung und für nicht länger als 45 Minuten genügen, um beispielsweise bei Sechzigjährigen die Leistungen bei kognitiven Aufgaben klar zu verbessern. 

Lasst uns tanzen!

Je früher Menschen ab der Lebensmitte mit ihrem Bewegungsprogramm starten, desto heilsamer sind die Effekte bei alternden, aber noch gesunden Gehirnen. Bei diesen Menschen verbessert sich die Erinnerungsfunktion wie auch das Lernvermögen nachweislich durch Sport. Doch auch einer gefürchteten Demenzerkrankung kann regelmäßige Bewegung, wie es aussieht, vorbeugen. 

Erstmals konnte dies eine im renommierten Fachjournal "Lancet neurology" veröffentlichte Arbeit belegen. Den Ergebnissen zufolge konnten Probanden, die zwei bis drei Mal pro Woche Sport trieben und noch nicht das fünfzigste Lebensjahr erreicht hatten, ihr Risiko für eine Alzheimererkrankung um 70 Prozent reduzieren. Eine Erkrankung wurde damit nicht ausgeschlossen, aber ihr Eintritt etwa um sieben Jahre verzögert. Waren die Probanden neben dem aktiven Lebensstil auch sozial gut in Beziehungen eingebunden, so waren sie noch besser vor kognitivem Verfall im Alter geschützt. 

Vermutlich wirkt sich die bessere Durchblutung der Hirnareale so ausnehmend günstig auf die Gehirngesundheit aus und sorgt für eine gute Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen. Die Neurogenese wiederum regt wohl den Aufbau neuer Nervenzellen an, der einem demenzbedingten Verfall entgegenarbeitet. Auch die Entzündungsprozesse, die für degenerative Erkrankungen des Gehirns im Alter sorgen, werden offenbar durch sportliche Bewegung geschmälert, sodass die schützende Wirkung erklärbar wird. 

Noch etwas: Eine Langzeitstudie jüngeren Datums, durchgeführt von Forschenden aus Kanada und den USA, ergab, dass die Gehirne von körperlich aktiven älteren Menschen bei der Obduktion nach ihrem Tod eine höhere Anzahl "synaptischer Proteine" zeigten. Diese sorgen für den Austausch von Informationen zwischen Nervenzellen im Gehirn. Es wird vermutet, dass die synaptischen Proteine auch die schädlichen Beta-Amyloid-Ablagerungen (Plaques) und Tau-Proteinballungen im Gehirn vermindern, die bei einer Alzheimer-Krankheit typischerweise auftreten. Die durch Sport erzielte Verbesserung der synaptischen Proteine scheint also vor der Degeneration des alternden und kranken Gehirns zu schützen.  

Auch für Menschen, die beim Gedanken an Sport nicht in Begeisterung geraten, gibt es eine gute Botschaft: Es reicht bereits, täglich rund drei Kilometer zügig in der Nachbarschaft zu spazieren, um von günstigen Effekten der Bewegung und der Muskelaktivierung kognitiv zu profitieren. 

Wer hingegen Freude beispielsweise am Tanzen hat, verfügt über ein geradezu ideales Mittel, um das alternde Gehirn zu fordern und zu schützen. Um es möglichst lange in einem Zustand zu erhalten, in dem sich immer wieder neue Verdrahtungen und Verknüpfungen bilden, weil das Gehirn herausgefordert und benutzt wird. 

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